© KiBi, Cornelia Stahl
Buch des Monats November
Lena-Marie Biertimpel: Luftpolster. Roman. Leykam Verlag, 2022© KiBi, Cornelia Stahl
Dem Tabuthema psychischer Erkrankungen Raum geben
Laut Weltgesundheitsorganisation leidet jeder dritte Mensch mindestens einmal im Leben unter einer Depression oder einer anderen psychischen Störung.
In vielen Familien werden Gesprächsthemen wie psychische Erkrankungen und Selbstverletzungen nach wie vor. Das häufige Wegschauen oder Verharmlosen ist an der Tagesordnung. „Das ist nur eine Phase. Das geht schon vorüber!“, heißt es dann.
Schrittweise Annäherung an ein Tabuthema
Doch die letzten Jahren zeigten, dass sich schrittweise Türen und Fenster öffnen, die das Thema öffentlich anerkennen. Diesem geöffneten Fenster folgte Lena-Marie Biertimpel, Schriftstellerin aus Hamburg und griff das Thema psychische Erkrankungen in ihrem Romandebüt auf, in dem sich die Protagonistin nach dem Suizidversuch ihrer Schwester in eine Psychiatrische Klinik einweisen lässt. Mit Bigmama und Willie verbringt ihre Tage auf der Station, begleitet von Schwester Carmen, die sich liebevoll um sie kümmert.
Die kurzen Sätze und die konsequente Kleinschreibung wirken mitunter als Begrenzung, korrespondieren jedoch mit den bedrohlich Szenen, wie folgendes Beispiel zeigt:
„sie hat mich ganz früh geweckt, weil es nicht aufgehört hat zu bluten. Ich bin mit ihr in die notaufnahme gefahren“, S.54.
Die eindringlich formulierten knappen Sätze spiegeln die innere Verfasstheit der Protagonistin und lassen uns bisweilen beim Lesen nach Luft ringen.
In Rückblenden erzählt die Protagonistin Details aus dem Familienalltag, der alles andere als Harmonie versprüht: „wir machen dann immer den fernseher an, weil es in der küche so laut ist. Nach einer weile klopfe ich an die küchentür (…) streitet ihr, frage ich vorsichtig. NEIN. Wir diskutieren nur, brüllt meine Mutter“, S.102.
Ein Wien-Roman, der im Umfeld der Psychiatrie Otto-Wagner-Spitel, im vierzehnten Wiener Gemeindebezirk angesiedelt ist. Keine leicht verdauliche Kost, keine Gute-Nacht-Lektüre fürs Bettkastl. Aber eine Bereicherung, denn der Roman appelliert im Subtext, genauer hinzuschauen und den Finger in die Wunde zu legen, statt zu schweigen.
Lena-Marie Biertimpel,1991 in Hamburg geboren, lebt in Wien und studiert Sprachkunst an der Universität für angewandte Kunst. Für „Luftpolster“ erhielt sie den Österreichischen Debütpreis, 2022.